Am Sonntag gehen bestimmt einige tausend Menschen in Oldenburg auf die Straße, um ihre Empörung über den Fauxpas unseres Kanzlers zu unterstreichen.
Die mehrdeutige Äußerung, es gäbe ein Problem mit dem Stadtbild in Deutschland, war kein Ausrutscher, sondern eine ganz bewusst formulierte, populistische Phrase, die die Gesellschaft spalten soll. Der einige Tage später vorgetragene Konkretisierungsversuch von Merz, man solle doch mal die eigenen Töchter fragen, macht noch deutlicher, worum es dem Kanzler in dieser Debatte geht: Das Sprechen über (sexuelle) Gewalt dient Merz als Vehikel, um eine rassistisch konnotierte Furcht vor den „Anderen“ zu speisen: vor Asyl- und Schutzsuchenden, Migrantinnen und ebenso auch Personen, die teils schon lange Jahre eine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, in Zeiten des Wirtschaftswunders zum Aufbau der Städte beigetragen haben, Familien gründeten und heute – zumindest für Merz – immer noch nicht gleichwertige Teile unserer Gesellschaft sind. Herr Merz redet von einer Brandmauer zur AfD, aber er benutzt genau die gleiche Terminologie wie etwa Björn Höcke, vom dem alle Welt weiß, wes Geistes Kind er ist. Wer so rassistisch in Alltagssprache Andeutungen platziert, der spielt mit dem Feuer. Die Spaltung ist Teil des Plans. Angeblich findet die Mehrheit diese Wortwahl nicht problematisch. Logisch, denn er benutzt kein „N“-Wort, kein „Z“-Wort und auch keine eindeutig rechtsradikalen Parolen. Aber: Der Kontext macht die Botschaft aus.
Wenn Herr Merz sich an den Bahnhofsvorplätzen stört, warum spricht er nicht offen über Probleme wie Wohnungsnot, Obdachlosigkeit, Armut, Ausgrenzung, Drogenszenen? Wenn ihm am wirklichen Stadtbild etwas läge, wäre ein „Sondervermögen Innenstädte“ oder ein Aktionsplan für Müllbeseitigung oder Denkmalpflege angebracht.
Das Stadtbild, das Friedrich Merz offensichtlich meinte, ist eher ein Menschenbild, es bezieht sich auf Menschen. Auf äußerlich erkennbar als Personen mit Migrationshintergrund oder anderen kulturellen Wurzeln als die der Mehrheitsgesellschaft. Was ist der Plan, der dem Gesagten folgen soll?
Wird es eine Zunahme an Abschiebungen von Menschen ohne Aufenthaltstitel kommen? Ist ein Kopftuchverbot in Vorbereitung? Die freie Religionsausübung ist im GG garantiert; soll das etwa geändert werden? Wie tolerant ist dieser Kanzler, wenn er gleich bei jedem Menschen, der „anders“ aussieht, eine Bedrohung unterstellt? Parallel zu beispielsweise Björn Höckes „keine deutsche Frau traut sich mehr aus dem Haus“ wurde hier lediglich eine andere sprachliche Form gewählt.
Diese böse Formulierung des Kanzlers ist in höchstem Maße verwerflich, denn sie normalisiert den Alltagsrassismus, sie spielt die Gefahr des Populismus herunter, sie spielt „Betroffene“ dieses Zitats gegeneinander aus und sie versucht, die AfD rechts zu überholen. Dagegen müssen wir uns wehren, denn diese Anspielungen gab es in der deutschen Geschichte schon einmal, mit einem Ergebnis, für das sich noch Generationen von Deutschen schämen werden. Angesichts der historischen Dimension ist Sensibilität und Demut gefragt, nicht Polarisierung.
Oldenburg ist bunt, vielfältig, divers, interessant, offen und tolerant. Andere Städte in diesem Land genauso. Gerade durch die Unterschiedlichkeit und das Anderssein wird Gemeinsamkeit erst erlebbar, wird Demokratie wichtig, wird das Leben schön.
Aus diesem Grund weisen wir auf zwei aktuelle Anliegen hin:
Am Sonntag, 02.11, findet um 14 Uhr eine Demonstration unter dem Motto „Oldenburg steht zusammen – für Vielfalt im Stadtbild und gegen Rassismus“ statt. Vom Bahnhofsvorplatz geht es zum Schlossplatz, um für eine vielfältige Gesellschaft zu demonstrieren. Auch die GEW Oldenburg-Stadt unterstützt diese Demo und ruft zur Teilnahme auf.
Zudem entstand unter dem Titel „Wir sind die Töchter“ zudem ein bundesweiter Zusammenschluss von Frauen, die gegen die Aussage von Merz aus feministischer Perspektive mit 10 Forderungen Position beziehen. Der offene Brief kann hier https://docs.google.com/forms/d/e/1FAIpQLSfAMMKxzJwrsyOyj_uWndcauTmgTXGn9dGxcPkaqOaie-epNQ/viewform?pli=1 unterschrieben werden.