Bedingungen für das Gelingen der Integration der geflohenen Kinder und Jugendlichen (speziell in Sprachlernklassen)

19. Oktober 2016 | Von | Kategorie: Aktuelles

Am 16. August 2016 trafen sich Vertreterinnen und Vertreter Oldenburger Sprachlernklassen sowie Ehrenamtliche, die als Integrationslotsen bei der Unterstützung der geflohenen SchülerInnen mitwirken.
Die Einrichtung der SLK wird von allen Seiten als deutliche Hilfe angesehen, doch die große Aufgabe der Integration erfordert eine viel breitere, längere und individuellere Unterstützung für die Kinder und Jugendlichen und die betroffenen Lehrkräfte.
Im Mai 2016 berichtet der Grundschulverband:

Geflüchtete haben oftmals Unvorstellbares erlebt. 40 bis 50 Prozent von ihnen entwickeln eine sogenannte PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung) und rund 50 Prozent eine Depression, häufig kommen beide Erkrankungen gemeinsam vor. Knapp die Hälfte der Flüchtlingskinder ist deutlich psychisch belastet. Rund 40 Prozent sind durch das Erlebte beim schulischen Lernen und in zwischen-menschlichen Beziehungen deutlich eingeschränkt. Bei jedem fünften Kind zeigt sich eine Traumafolgestörung. Diese Zahlen beziehen sich auf ältere Studien; Schätzungen zufolge könnten bis zu zwei Drittel aller Flüchtlingskinder betroffen sein … Das Ausmaß sozialer Unterstützung und die Qualität von Bildungsangeboten entscheiden mit darüber, ob sich traumatische Erfahrungen in vielfältigen Symptomen manifestieren und chronifizieren. Je informierter Pädagoginnen und Pädagogen sind und je frühzeitiger hilfreiche Unterstützungsangebote an Schulen erfolgen, desto besser sind die Aussichten, dass Stabilisierung und eine natürliche Verarbeitung traumatischer Belastungen erfolgen können.“

Karro, Y.: Zum Umgang mit traumatisierten Flüchtlingskindern an Schulen. In: Grundschule aktuell. Zeitschrift des Grundschulverbandes, Heft 134, S. 6.
Solche Kinder besuchen auch die Oldenburger Schulen. Sie sind verschlossen, manchmal aggressiv, können sich schlecht konzentrieren oder sind sehr ängstlich. Nötig wären daher u.a.:

  • Soziale Unterstützung durch Bildungsangebote am Nachmittag und in den Ferienzeiten
  • Möglichst für viele/alle Kinder mit Bedarf ehrenamtliche Bildungspatinnen und Bildungspaten (Agentur Ehrensache, Stadt Oldenburg)
  • TraumatherapeutInnen mit Unterstützungs- und Beratungsangeboten für die KollegInnen in den Schulen/ Angebote für die Kinder im Rahmen des Unterrichts
  • Therapieangebote für traumatisierte Flüchtlinge in den Flüchtlingsunterkünften und später ggf. dezentralen Unterkünften, um die Familien zu stabilisieren.
  • Konzepte in der Lehramtsausbildung (Uni, Studienseminare) für die Integration dieser Kinder und Jugendlichen und ihrer Familien in jeder Ausbildungsphase (Vgl. Forderungen des Grundschulverbandes, Beschluss der Delegiertenversammlung des Grundschulverbandes e.V., Göttingen, 28.11.2015)
  • Qualität der Fortbildungsangebote für Lehrkräfte

Die Stadt Oldenburg unterstützt die Schulen bei Bedarf mit der Beschaffung von Lehrmitteln und bei der Ausstattung für Sprachlernklassen bzw. für den Unterricht in Deutsch als Zweitsprache bei Flüchtlingskindern. Ferner organisiert sie Treffen und Austauschmöglichkeiten für die Lehrkräfte in den SKL.
Die Beteiligten an der Veranstaltung wünschten Folgendes (und die GEW-Oldenburg-Stadt übernimmt dieses als dringend notwendige Ergänzung des bisherigen kommunalen Engagements)

  • Die Stadt Oldenburg gibt pro Schuljahr eine aktualisierte Übersicht über die verschiedenen Hilfsangebote und Unterstützungsmaßnahmen der Stadt an die Schulen heraus, damit diese bedarfsgerechte Kooperationsnetze aufbauen können.
  • Die weitere Gewinnung und Bedeutung von ehrenamtlichen BildungspatInnen wird intensiv von der Stadt beworben, befördert und unterstützt, damit möglichst viele Schülerinnen und Schüler in eine Bildungspatenschaft vermittelt werden können.
  • Die weitere Gewinnung und Bedeutung von ehrenamtlichen Integrationslotsen wird intensiv von der Stadt beworben, befördert und unterstützt, damit möglichst viele Familien besonders in der Anfangszeit unterstützt werden können (Antragsstellungen, Erstausstattung der Kinder etc.) und die Schulen von diesen Aufgaben entlastet werden.
  • Integrationslotsen sollten möglichst für ein Jahr einer Familie/ mehreren Familien der Klasse z.B. gleicher Herkunftssprache fest zugeordnet werden, damit organisatorische Dinge wie Lehrmittelausstattung, Antragsstellungen, Umzüge in dezentralen Wohnraum etc. reibungsloser und zügiger erfolgen können. Auch die Integrationslotsen müssen analog zu den DolmetscherInnen qualifiziert und entlohnt werden.
  • Ohne einen unkomplizierten und verlässlichen Zugriff auf DolmetscherInnen sind die Anstrengungen der Schule, Eltern als unentbehrliche Bildungspartner im Bemühen um den optimalen Bildungserfolg ihrer Kinder einzubinden, nicht umsetzbar.
  • Daher muss ein verlässlicher Dolmetscherpool durch die Stadt Oldenburg eingerichtet, betreut und stetig aktualisiert werden (Änderung der Telefon-nummern etc.).
  • Die DolmetscherInnen müssen für ihre Aufgaben in den Schulen qualifiziert werden und sollten transparent und angemessen bezahlt werden.
  • Um Arbeitsabläufe in den Schulen zu vereinfachen ist eine Dolmetscherliste nötig, die den Schulen zugesandt wird und bei Aktualisierungen automatisch neu über die Stadt an die Schulen verschickt wird.
  • Nach Schließung der Kommunalen Gemeinschaftsunterkunft Gaußstraße
  • (ggf. weiterer Schließungen von weiteren Kommunalen Gemeinschaftsunter-künften) müssen die dort beschäftigten SozialarbeiterInnen mit ihrem Expertenwissen weiter beschäftigt bleiben als dringend notwendiges Brückenglied zu Familien und als verlässliche Ansprechpartner für die Schulen.
  • Für den Nachmittagsbereich müssen die zur Verfügung stehenden Hortplätze erweitert werden, denn nur durch vielfältige Kontakte zu deutschsprachigen Erwachsenen und Kindern können sprachliche Kompetenzen der Kinder als grundlegende Voraussetzung für Schulerfolg ausgebaut werden. „So nimmt bekannterweise der Erwerb bildungssprachlicher Kompetenzen Zeit in Anspruch und liegt bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern bei etwa 5 bis 8 Jahren.“
  • (Gutzmann, Marion: Sprachbildung – mehr als Sprachförderung bzw. Sprachtraining. In: Grundschule aktuell. Zeitschrift des Grundschulverbandes, Heft 128/ S. 4.)
  • TraumatherapeutInnen – auch herkunftssprachliche – sollten für den schulischen und außerschulischen Bereich zur Verfügung stehen und sowohl die Kinder und Jugendlichen als auch Eltern und Lehrkräfte unterstützen und beraten.
  • Die Schulen benötigen eine einfachere Abwicklung hinsichtlich der Erstausstattungen der SchülerInnen. So könnte eine Schule bedarfsgerecht die Schulmaterialien für alle SchülerInnen bestellen (im Rahmen der erstattungsfähigen Bezuschussung) und das Sozialamt / das Jobcenter anschließend der Schule die Kosten zurückerstatten.
  • Die zurzeit vergriffene Willkommensbroschüre für Neuzugewanderte müsste schnellstmöglich wieder aufgelegt werden, da ein Nachschlagewerk praktischer zu handhaben ist als die Online-Version. Flüchtlinge verfügen in der Regel nicht über einen Computer und sind mit einem Handy diesbezüglich deutlich eingeschränkter.
  • Ggf. sollte die mehrsprachige Broschüre über Computerzugänge in den verschiedenen öffentlichen Institutionen (Jobcenter, Sozialamt, Flüchtlingsunterkünften) bekannt und zugänglich gemacht werden.

Das Land Niedersachsen erleichtert durch die Bereitstellung von SLK und Stellenausschreibungen für SLK den Einstieg von Flüchtlingskindern und -jugendlichen in das niedersächsische Schulsystem.

Das allein kann eine gelingende Integration noch nicht gewährleisten.
Die Anwesenden und die GEW-Oldenburg-Stadt fordern deshalb von der Landesregierung

  • Die Verweildauer in einer Sprachlernklasse muss sich entsprechend dem Stand der Deutschkenntnisse und dem Bildungsstand der SchülerInnen richten und muss bei Bedarf ohne aufwendiges Verfahren durch die Einschätzung der Klassenlehrkraft auf zwei Jahre verlängert werden können, denn
    – viele SchülerInnen sind in ihrer Herkunftssprache nicht alphabetisiert bzw. verfügen über eine geringe oder keine schulische Grundbildung in ihrem Herkunftsland
    – viele Eltern haben keine Schulbildung und/oder sind Analphabeten und können ihr Kind nicht unterstützen
    – Menschen haben unterschiedliche Lerntempi und unterschiedliche Lerneingangsvoraussetzungen
    – Der Erwerb bildungssprachlicher Kompetenzen nimmt Zeit in Anspruch und liegt bei mehrsprachig aufwachsenden Kindern bei etwa 5 bis 8 Jahren (vgl. Grundschule aktuell. Zeitschrift des Grundschulverbandes, Heft 128/ S. 4.)
  • Für Schülerinnen und Schüler, die eine Sprachlernklasse besucht haben und in eine Regelklasse gewechselt sind, müssen bei Bedarf anschließend Personal und Stunden für Förderkurse oder Förderunterricht zur Verfügung stehen.
  • Für Lehrende in SLK und Regelklassen ist eine kontinuierliche Unterstützung erforderlich: d. h., Fortbildung mit Weiterqualifizierung, Einbindung von SchulsozialpädagogInnen, PsychologInnen, BildungspatInnen und Integrationslotsen, Einsatz von TraumatherapeutInnen…
  • Die zusätzlichen spezifischen Belastungsfaktoren in Sprachlernklassen müssen dringend Berücksichtigung finden und durch Anrechnungsstunden ausgeglichen werden. Dazu gehören der alljährliche komplette Schüler- und Elternwechsel, ein hohes Maß an differenzierten Unterrichtsangeboten, die Organisation der Teilnahme am Regelunterricht, und der zeitliche Umfang für die Einbindung von außerschulischen Kooperationspartnern, die Besprechung mit KollegInnen, ehrenamtlichen BildungspatInnen, kommunalen Einrichtungen usw.
  • Angesichts des Lehrkräftemangels ist eine Doppelzählung von SuS (die in ihrer Herkunftssprache nicht alphabetisiert sind und/oder über eine geringe oder keine schulische Grundbildung in ihrem Herkunftsland verfügen) kaum umsetzbar. Ein Wegfall der Halbjahreszeugnisse mit vorgeschriebenem Zeugnisanhang für SLK sowie der Förderpläne würde eine wesentliche Entlastung für die Lehrkräfte (speziell in den Grundschulen) bedeuten, da die SLK als additive Sprachfördermaßnahme und nicht als Klasse betrachtet wird.
  • Individuelle Lernstandüberprüfungen – die in in SLK sehr aufwendig sind – würden damit im Halbjahr keine Ressourcen und kostbare Lernzeit mehr binden. Ein sorgsamer und gezielter Umgang mit Lernzeit in der SLK begünstigt in der Folge eine kürzere Verweildauer der SuS in Sprachlernklassen bwz. eine Verkürzung weiterer additiver Sprachfördermaßnahmen.
  • Die Landesregierung / das Kultusministerium muss eine mehrsprachige Broschüre über das deutsche Schulsystem entwickeln und herausgeben, damit Migranten ein differenziertes Verständnis über unser Schulsystem erlangen können und unrealistische Erwartungen vermieden werden können.
  • Um den Flüchtlingskindern in unseren Schulen gerecht werden zu können, benötigen die PädagogInnen dringend objektive Informationen und Materialien sowie Fortbildungen über die Kulturen und Lebenslagen der Kinder und ihrer Familien sowie zu Sprachbildungskonzepten. (Vgl. Forderungen des Grundschulverbandes, Beschluss der Delegiertenversammlung des Grundschulverbandes e.V., Göttingen, 28.11.2015)
  • Das Übergangssystem Schule/Beruf muss für geflüchtete Jugendliche intensiviert werden. Da über 18-Jährige das Anrecht auf schulische Fördermaßnahmen verlieren, muss eine Vernetzung mit der Erwachsenenbildung greifen.

Erwartungen, die an die betreffenden Schulen gestellt werden

  • Der Status der Lehrkräfte in Sprachlernklassen im System der Schule bedarf der Klärung; Sprachlernklassen dürfen nicht als Randgeschehen in einer Schule angesehen werden, sondern sie gehören in das jeweilige pädagogische Schulkonzept integriert – verstanden als Aufgabe aller an Schule Beteiligten.
  • Die Schule sollte die Teilnahme von Lehrkräften der SLK und allen beteiligten Lehrkräften in den Regelklassen unterstützen, um an den umfangreich angebotenen Fortbildungsmaßnahmen teilzunehmen.
    Das Land Niedersachsen, der Grundschulverband, die GEW und kommunale Träger bieten über sachkompetente Referentinnen und Referenten Fortbildungskurse an.
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