Der Kreisverband Oldenburg veranstaltete am 19.05. zu diesem brisanten Dauerbrenner-Thema eine Fachtagung mit zwei hochkarätigen Referenten
Dr. Joachim Larisch, tätig am Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen, beleuchtete die Belastung von schulischen Lehrkräften im Berufsverlauf hauptsächlich unter den Gesichtspunkten der Arbeitssicherheit. Die Belastung müsse so gestaltet sein, dass man den Beruf bis zur Pensionsgrenze ausüben kann. Sei das nicht der Fall, so müsse etwas verändert werden. Dauerleistungsgrenzen, gerade bei einem hohen Anteil von Gefühlsarbeit, dürften nicht überschritten werden.
Eine Quote von ca 40% in Teilzeit arbeitender Lehrkräfte in Niedersachsen deutet Larisch als Indiz dafür, dass die Arbeit im Vollzeit-Job für viele nicht zu schaffen ist, auch unter Berücksichtigung des hohen Frauenanteils, die auch in anderen Berufen oft Teilzeitarbeitsplätze wünschen. An den allgemeinbildenden Schulen allgemein ist ihr Anteil über 70 %, an Grundschulen über 90 %.
Ein zentrales Problem sieht Larisch in der Offenheit bzw. Grenzenlosigkeit der Aufgabenstellungen. Es gibt keine Typisierung der Aufgaben und Belastungen, von der KMK wird ein Arbeitssystem nicht erkennbar beschrieben.
Der Arbeitsschutz ist seit 1989 sogar in EU-Regelungen verankert, seit 1996 gilt er auch für den öffentlichen Dienst und 2013 wurden die psychischen Belastungen in das Arbeitsschutzgesetz aufgenommen. Alle verfügbaren Parameter zeigen, dass Lehrkräfte psychomentalen Anforderungen wie Fluglotsen ausgesetzt sind. (Anm. d. Verf.: Fluglotsen haben eine Wochenarbeitszeit von 25 Std. und gehen spätestens mit 55 Jahren in den Ruhestand!)
Larisch bedauerte, dass es keine Längsschnittuntersuchungen und somit keine Forschungsergebnisse zu chronischen Beanspruchungsfolgen gibt.
Bewusst auf den zeitlichen Faktor der Arbeitsbelastungen konzentrierte sich Dr. Reiner Schölles vom Institut für Interdisziplinäre Schulforschung Bremen. Er verwies in seinem Vortrag auf 40 Jahre Arbeitszeitforschung bei Lehrkräften und verglich drei Erhebungen aus 1958, 1972 und der letzten aus 1998: Danach sei die durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 45 Stunden über einen drastischen Anstieg auf 54,3 zwar wieder abgesunken auf 47,3 Std., gleichzeitig sei sie aber in der Industrie kontinuierlich von 45,7 auf 37,6 Std. gefallen.
Schölles erinnerte noch einmal daran, dass nur 40% der Lehrkräfte die Regelaltersgrenze erreichen, bis 2001 waren es sogar nur 9%. Allerdings seien die älter werdenden Lehrerinnen und Lehrer nicht gesünder geworden, sondern müssten seit der Versorgungsreform mit teilweise erheblichen Pensionsabschlägen rechnen. Schölles betonte, dass das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben mit dem Etikett „berufsunfähig“ für jeden einzelnen eine Bankrotterklärung sei, dass es sich jedoch um kein persönliches Versagen handele, sondern um eine strukturelle Überforderung der Lehrkräfte!
Aber, so Schölles, sind die Lehrkräfte nicht nur Opfer, sondern auch Täter ihrer Überforderung.
Die Tatsache „je höher die Absenkung in Teilzeit, umso höher der Arbeitsanteil“ ist inzwischen hinlänglich bekannt. Deshalb forderte er dazu auf, den Dienstherren ernst zu nehmen und zu fragen, welche Aufgaben Lehrerinnen und Lehrer an ihrem Arbeitsplatz tatsächlich zu erledigen hätten.
Nach Festlegung des deutschen Bildungsrats, aus den Aufgabenbeschreibungen im Niedersächsischen Schulgesetz (NSchG) und der ArbZVO-Lehr, ergeben sich 8 Aufgabenbereiche:
Lehren, Erziehen, Beurteilen, Beraten, Innovieren, Beaufsichtigen, Verwalten, Dokumentieren
55 Einzelaufgaben hat Schölles daraus identifizieren können, von denen er nur 8 für die Berechnung der Arbeitszeit eines „Modelllehrers“ ausgewählt hat:
Diese Vollzeitlehrkraft arbeitet 26 Unterrichtsstunden pro Woche, in 5 Lerngruppen à 4 UStd. mit je
4 schriftlichen Lernkontrollen und in 3 Lerngruppen à 2 UStd. mit je 2 schriftlichen Lernkontrollen.
Jede Lerngruppe hat 26 SchülerInnen.
Ausgehend von 1780 Jahresarbeitsstunden zeigt Schölles anhand einer Tortengrafik, wie sich bei einer 40-Stundenwoche die verbleibende Restarbeitszeit Stück für Stück nach Abzug der Arbeitsstunden für die jeweilige Aufgabe (s. Grafik) verringert. Die Aufnahme der Wegezeiten in die Berechnung begründet sich in einem Urteil des Hessischen VGH Kassel aus dem Jahr 2000. Ganz bewusst hat Schölles mit Minimalwerten z. B. für Korrekturzeiten von 15 Min. pro Arbeit, mit 2 Min. pro Schüler und Woche für die Dokumentation der Lernentwicklung oder ebenfalls mit 2 Min. für Beratung gerechnet. Trotz allem ergibt sich schlussendlich ein winziger Rest von nur 91 Jahresarbeitsstunden, in denen weitere fast 50 Aufgaben erledigt werden müssen. Darunter ist – mit Absicht – die noch nicht berücksichtigte Zeit für Unterrichtsvor- und -nachbereitung! Das Modell soll aufzeigen, dass für die wichtigste aller Tätigkeiten neben dem Unterricht nämlich keine Zeit mehr bleibt, nimmt man auch nur einige der sonst noch vorgeschriebenen Aufgaben ernst. Wendet man das gesamte restliche Stundenkontingent dafür auf, bleiben bei 1040 Unterrichtsstunden ganze 5,25 Min. für jede einzelne Stunde übrig!
Fazit: Zu viele Aufgaben für zu wenig Zeit!
So stellt Schölles zum Ende seiner Berechnung zu Recht die rhetorische Frage:
„Welcher Qualitätsanspruch von Unterricht kann damit eingelöst werden?“ – und die sehr ernst gemeinte Frage: „An welcher Stelle können Belastungen reduziert werden?“
Um Möglichkeiten auszuloten und Lösungen näher zu kommen, standen beide Referenten auch in den nachmittäglichen Arbeitsgruppen zur Verfügung. Dabei blieben die Lösungsmöglichkeiten jedoch in beiden Workshops für einige Teilnehmer_innen hinter den Erwartungen zurück: Lösungsansätze im eigenen Verhaltensbereich helfen nur bedingt, wenn die Belastungsfaktoren auf struktureller Ebene, d.h. in den Rahmenbedingungen liegen. Personalräte können hier aktiv werden durch Einfordern der Gefährdungsbeurteilung, durch Anregung von kollektiven Belastungsanzeigen (z. B. Beschwerdewelle der Grundschulen) und die GEW muss unablässig ihre politischen Einwirkungsmöglichkeiten zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen nutzen.
In einer weiteren Arbeitsgruppe am Nachmittag richtete sich Grete Janssen vom GEW Bezirksvorstand Weser-Ems an die älteren Lehrkräfte mit der Thematik „Wie schaffe ich die Schule mit 50+“ Unter der Annahme, dass Schule und Unterricht zwar sehr viel Energie raubt, aber auch durchaus spendet, loteten die Teilnehmer_innen die eigene Energiebilanz aus. Dabei wurden Lösungsansätze thematisiert und die ein oder andere Teilnehmer_in möglicherweise zu einem GEW-Intensivseminar zur Thematik motiviert.
Monika de Graaff